Nachkommen Betroffener der sog. „Silberzwangsabgabe“ zu Gast im Bayerischen Hauptstaatsarchiv

Von Fabienne Huguenin

Die sogenannte „Silberzwangsabgabe“

Das NS-Regime erließ am 21. Februar 1939 die „Dritte Anordnung aufgrund der Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden“. In München waren über 2 000 Personen gezwungen, ihre Wertgegenstände beim Leihamt in der Augustenstraße abzugeben. Heute bewahren sowohl das Münchner Stadtmuseum als auch das Bayerische Nationalmuseum Silbergegenstände, die aus dem Städtischen Leihamt stammen. Die Mitarbeitenden der Provenienzforschung versuchen seit mehreren Jahren, die ehemaligen Eigentümerinnen und Eigentümer dieser Objekte zu ermitteln. Lange Zeit ließen sich die Ankaufsverzeichnisnummern des Leihamts (AV-Nummern) nicht den Betroffenen zuordnen. Erst durch Aktenfunde in Münchner Archiven ist es nun möglich, die AV-Nummern der Objekte mit den Namen in Verbindung zu bringen. Einige Restitutionen, also Rückgaben an die rechtmäßigen Erbinnen und Erben, sind bereits erfolgt. Im Blogbeitrag des Jüdischen Museums München „Tante Olgas Silberleuchter“ wird ein solches Beispiel ausführlich beschrieben.

Nachkommen aus der ganzen Welt

Bereits am 8. November 2024 besuchten Nachkommen NS-Verfolgter aus Argentinien, Amerika, England, Israel, Italien und Deutschland das Bayerische Hauptstaatsarchiv (siehe Blogbeitrag vom 17. Dezember 2024: „Munich roots“ – Nachfahren und Nachfahrinnen von NS-Verfolgten recherchieren im Bayerischen Hauptstaatsarchiv“). Nun folgte eine zweite Gruppe, die ebenfalls aus der ganzen Welt angereist war, sogar aus dem fernen Australien. Dr. Matthias Weniger, Provenienzforscher am Bayerischen Nationalmuseum, erstellte das Programm und kontaktierte zahlreiche Institutionen. Besonders wichtig und emotional war die Anbringung von Erinnerungszeichen, die an fünf Opfer des Holocaust erinnern: Hermine Bernheimer, Hermann Binswanger, Erna und Friedrich Sigmund Marx sowie Minna Hirschberg.

Auf einer Leinwand sind Bilder von Dokumenten aus Akten zu sehen. Davor steht eine Frau an einem Rednerpult. Sie spricht zu einem Publikum, das in einem Vortragssal sitzt.
Vortrag im Bayerischen Hauptstaatsarchiv zur „Transformation der Wiedergutmachung“ | Matthias Weniger, Bayerisches Nationalmuseum |

Spurensuche im Archiv

Die Reise in die Vergangenheit führte die Familien an die Stätten der NS-Zeit in München und Umgebung. Um mehr über die historischen Zusammenhänge, aber auch über die Möglichkeiten zur Recherche über die eigene Familiengeschichte zu erfahren, gab es einen Termin im Bayerischen Hauptstaatsarchiv. Hier erhielten die Familien Einblicke in das Digitalisierungsprojekt „Transformation der Wiedergutmachung“. Das Staatsarchiv München und das Bayerische Hauptstaatsarchiv digitalisieren von 2023 bis 2030 Unterlagen zur Wiedergutmachung – also Akten zur Entschädigung und zur Rückerstattung. Online bereitgestellt werden die Digitalisate mit ihren Erschließungsdaten, sofern es rechtlich möglich ist, über die Findmitteldatenbank der Staatlichen Archive Bayerns und im Themenportal „Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts“.

Eine kleine Ausstellung mit Originaldokumenten ergänzte den Vortrag. Anhand eines Verfolgungsschicksals aus der NS-Zeit wurden Auswertungsmöglichkeiten aufgezeigt, die Akten zur „Wiedergutmachung“ bieten.

In einer Vitrtine sind Fotografien und Dokumente ausgestellt. Mehrere Personen sind darüber gebeugt, um die Ausstellungsstücke anzusehen. Neben der Vitrine gibt es zwei Roll-Ups mit weiteren Erläuterungstexten.
Ausstellung „Archivgut des Freistaates Bayern zur ‚Wiedergutmachung‘ nationalsozialistischen Unrechts“. | Thomas Gehl, Bayerisches Hauptstaatsarchiv |

Begegnung und Erinnerungsarbeit

Solche Momente der Begegnung sind für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Archive und der Provenienzforschung von großer Bedeutung. Die „Transformation der Wiedergutmachung“ hat das Ziel, diesen wichtigen Aktenbestand zugänglich zu machen und die darin enthaltenen, oft drastischen Inhalte sichtbar zu machen. Dies unterstützt nicht nur die Holocaust Education (Holocaust-Erziehung), worauf auch das Projektlogo hinweist: „Darüber reden, statt zu vergessen“. In einer Zeit, in der Leugnung und Vergessen große Herausforderungen darstellen, ist es wichtiger denn je, mit Fakten dagegenzuhalten und das Bewusstsein für unsere Geschichte und verübtes Unrecht zu schärfen.

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