Das Themenportal "Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts" im Subportal Archivportal-D wird in den kommenden Jahren und Jahrzehnten einen internationalen Gesamtzugriff auf das Dokumentenerbe der Wiedergutmachungsakten ermöglichen – und damit für wissenschaftliche Forschung und Bildungsprojekte aller Art von Bedeutung sein. Dies gilt viel mehr noch für die Familien und Nachkommen der Verfolgten selbst, die in den Akten oftmals wertvolle und teils unbekannte Hinweise zur eigenen Familien- und Identitätsgeschichte finden können.
In einer ersten Ausbaustufe können die wichtigsten Bestände aus den staatlichen Archiven des Bundes und der Länder ermittelt werden. Hintergrundinformationen zum historischen Kontext der Wiedergutmachungspolitik ergänzen die archivischen Inhalte. Sehr viele weitere Datensätze und digitalisiertes Archivgut – auch von kommunalen und freien Archivträgern –, ein sachthematischer und personenbezogener Zugang zu einzelnen Unterlagenarten und Angebote zur historischen Bildung werden folgen.
Das Bundesministerium der Finanzen ist seit den frühen 1950er Jahren zuständig für die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts durch die Bundesrepublik Deutschland.
Diese bisher überwiegend hinsichtlich ihrer materiellen Komponenten verstandene Aufgabe blickt mittlerweile leider der absehbaren Zeit entgegen, wenn keine Überlebenden von Shoa, Porajmos und NS-Terror mehr am Leben sein werden. Als Versinnbildlichung der Übernahme von Verantwortung nach den Menschheitsverbrechen im Nationalsozialismus ist die Wiedergutmachung indes auch konstitutiver Bestandteil der Demokratie- und Identitätsgeschichte Deutschlands. Einen Schlussstrich kann es deshalb nicht geben. Selbst wenn die materiellen Leistungen keine höchstpersönlichen Empfänger*innen mehr erreichen, gilt es fortan, den moralischen Aspekten der Verpflichtung zur Wiedergutmachung nachzukommen. Und diese endet nicht. „Die Vergangenheit muss uns dauerhaft eine Mahnung sein, dass sich das, was geschehen ist, nicht wiederholt“, wie Bundesfinanzminister Christian Lindner anlässlich des offiziellen Starts des Themenportals am 1. Juni 2022 betonte (Videolink).
Die sich neu herausbildenden Folgeaufgaben der Wiedergutmachung sind nicht festgelegt, sondern entwickeln sich im Rahmen der Frage, wie die „moralischen Werte“ und Erfahrungen der Wiedergutmachung für die Demokratie- und Identitätsgeschichte Deutschlands fortgeführt und vermittelt und gleichzeitig die Interessen der Verfolgten dauerhaft gewahrt und ihr Andenken am Leben gehalten werden können.
Den hierfür nötigen, dauerhaften Dialog wollen wir führen. Das zeigt auch das neue Logo der Wiedergutmachung: Darüber reden, statt zu vergessen.
Die Deutsche Digitale Bibliothek
Träger des Portals Deutsche Digitale Bibliothek ist ein Kompetenznetzwerk bestehend aus 15 Kultur- und Wissenseinrichtungen. Organe des Kompetenznetzwerks sind die Mitgliederversammlung, der Vorstand und das Kuratorium. Vorstand und Kuratorium werden bei der Erledigung ihrer Aufgaben durch eine Geschäftsstelle für die Bereiche Finanzen, Recht, Kommunikation und Marketing bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) unterstützt. Die Bereiche Technik, Entwicklung und Service des Portals werden von der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt (DNB) koordiniert. Technischer Betreiber der Infrastruktur des Portals sowie Softwareentwickler für die gesamte Deutsche Digitale Bibliothek ist FIZ Karlsruhe — Leibniz-Institut für Informationsinfrastruktur. Neben dem Hauptportal betreibt die Deutsche Digitale Bibliothek eine Reihe weiterer Portale. Hierzu gehört das Subportal Archivportal-D, das eine für Archivbelange optimierte Sicht auf die Archivobjekte im Portal Deutsche Digitale Bibliothek bietet. Im Archivportal-D können Nutzende nach Archivgut in ganz Deutschland recherchieren und Digitalisate abrufen. Das Landesarchiv Baden-Württemberg, das den Aufbau des Archivportal-D koordiniert hat, ist für seine Pflege und Weiterentwicklung zuständig. Am Landesarchiv Baden-Württemberg ist auch die Fachstelle Archiv angesiedelt, die Archive bei der Teilnahme am Portal Deutsche Digitale Bibliothek und am Archivportal-D berät und unterstützt.
Das Landesarchiv Baden-Württemberg
Es macht dieses Archivgut allgemein nutzbar und wertet es aus. Als landeskundliches Kompetenzzentrum wirkt das Landesarchiv aktiv an der kulturellen und historisch-politischen Bildung mit. Die Nutzung und Vermittlung erfolgt sowohl vor Ort an den Archivstandorten als auch über ein umfassendes Online-Angebot. Darüber hinaus führt das Landesarchiv als außeruniversitäre wissenschaftliche Einrichtung des Landes archiv- und informationswissenschaftliche Forschungsprojekte durch. Im Portal Deutsche Digitale Bibliothek ist das Landesarchiv als Mitglied im Kompetenznetzwerk sowie im Vorstand aktiv. Anknüpfend an seine Aufgaben als Sitz der Fachstelle Archiv sowie als Koordinator für das Archivportal-D übernimmt das Landesarchiv Baden-Württemberg im Rahmen des Aufgabengebiets „Wiedergutmachung“ die Entwicklung und Bereitstellung technischer Werkzeuge zur Datenaufbereitung sowie die Konzeption und Durchführung der Dateneinspielung. Darüber hinaus beteiligt sich das Landesarchiv an der fachlichen und informationswissenschaftlichen Begleitung des Themenportals „Wiedergutmachung“. Es wirkt mit bei der Erprobung des Einsatzes neuer Technologien in den Bereichen Digitalisierung, Erschließung und Zugänglichmachung und stimmt die Entwicklungsarbeiten des Archivportal-D mit dem Portal Deutsche Digitale Bibliothek ab.
Das Leibniz-Institut für Informationsinfrastruktur (FIZ)
Technisch implementiert und betreut wird das Themenportal Wiedergutmachung durch FIZ Karlsruhe, das auch den Betrieb des gesamten Archivportal-D und des Portals Deutsche Digitale Bibliothek verantwortet.
Das Leibniz-Institut FIZ Karlsruhe ist eine der großen Einrichtungen für Informationsinfrastruktur in Deutschland. Im öffentlichen Auftrag versorgt es Wissenschaft und Forschung weltweit mit wissenschaftlicher Information, entwickelt dafür Produkte und Dienstleistungen und betreibt angewandte Forschung.
Das Bundesarchiv
Das Bundesarchiv trägt die Verantwortung für die archivfachliche Gestaltung des Portals und die Angebote zur historischen Bildung. Es konzipiert die technische Umsetzung im Rahmen des Archivportal-D und die weitere Gesamtausrichtung des Portals im Austausch mit den nationalen und internationalen Partnern. Im Geschäftsbereich der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien hat das Bundesarchiv die Aufgabe, das Archivgut des Bundes auf Dauer zu sichern, nutzbar zu machen und wissenschaftlich zu verwerten.
Dazu gehören in der Hauptsache die Unterlagen, die bei zentralen Stellen des Deutschen Reiches (1871–1945), der Besatzungszonen (1945–1949), der Deutschen Demokratischen Republik (1949–1990) und der Bundesrepublik Deutschland (seit 1949) entstanden sind.
Archivfachliche Begleitung
Seit August 2020 bündelt eine KLA-Arbeitsgruppe die gemeinsamen Aufgaben der staatlichen Archivverwaltungen im Zusammenhang mit diesem Vorhaben. Dazu gehören die archivfachliche Begleitung des Projekts und seiner Akteure, die Beratung des Bundesministeriums der Finanzen, zudem die Förderung der Vernetzung mit Vertreter*innen von Nutzergruppen aus Wissenschaft und Gesellschaft. Mit Mitgliedern in der KLA-AG vertreten sind das Bundesarchiv sowie die Landesarchivverwaltungen von Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz.
Vorsitz: Dr. Michael Unger (Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns)
Stellv. Vorsitz: Dr. Martina Wiech (Landesarchiv Nordrhein-Westfalen)
Weitere archivische Projekte
Der vom BMF als „Folgeaufgabe der Wiedergutmachung“ verstandene Auftrag, die Auseinandersetzung mit diesem national wie international intensiv diskutierten Kapitel deutscher Zeitgeschichte anzuregen und die Beschäftigung mit der komplexen archivischen Überlieferung zu ermöglichen, umfasst mehr als die Gestaltung und den Ausbau dieses Themenportals. Eine Rahmenvereinbarung, abgeschlossen am 1. Juni 2022 zwischen dem Bundesministerium der Finanzen und den Archivverwaltungen der Länder und des Bundes (PDF), bietet die Grundlage für eine ganze Reihe weiterer Projekte zur Digitalisierung, Erschließung und Bereitstellung von einschlägigem Archivgut sowie zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz für einen vereinfachten Zugang. Bereits jetzt sind einige dieser Maßnahmen in der Umsetzungsphase und werden hier vorgestellt – zahlreiche weitere Projekte werden folgen.
Projekt des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen
Das Landesarchiv Nordrhein-Westfalen hat eine Finanzierungszusage seitens des Bundesministeriums der Finanzen für ein dreiteiliges Projekt zur Digitalisierung, Tiefenerschließung und Nutzbarmachung von Wiedergutmachungsakten aus der Abteilung Rheinland erhalten. Das Gesamtprojekt hat dabei eine Laufzeit von etwa 3,5 Jahren.
In einem ersten Teilprojekt ist neben der wissenschaftlichen Aufarbeitung der spezifischen administrativen und rechtlichen Bedingungen der Wiedergutmachung in NRW, vor allem die landesweite Erfassung aller einschlägigen Unterlagen zur Wiedergutmachung in einem sachthematischen Inventar in Zusammenarbeit mit anderen Archiven, Institutionen und der Forschung geplant.
Im Rahmen des zweiten Teilprojekts wird der Wiedergutmachungsbestand BR 3007 (Bezirksregierung Aachen) vollständig digitalisiert, anhand des von der KLA-UAG erarbeiteten Metadatenstandards tiefenerschlossen und abschließend im Themenportal Wiedergutmachung der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt.
Das dritte Teilprojekt wiederum beinhaltet die Erfassung der wichtigsten unerschlossenen Bestände zur Wiedergutmachung (BR 3001 und BR 3002 – Entschädigungs- und Entschädigungsrentenakten der Bezirksregierungen in Aachen, Düsseldorf und Köln sowie der Landesrentenbehörde NRW) als vorbereitende Maßnahme für die spätere Digitalisierung und Tiefenerschließung zwecks Präsentation im geplanten Themenportal Wiedergutmachung. Der Bestand BR 3001 enthält sämtliche Entschädigungsakten überregionaler Verfolgtengruppen nach Art. V des BEG-Schlussgesetzes, der Bestand BR 3002 diejenigen nach den §§ 150 und 160 des BEG, d.h. aller Berechtigten aus ehemaligen Vertreibungsgebieten, Staatenloser und Flüchtlinge im Sinne der Genfer Konvention. Das Projekt macht diese zahlenstarken und auch überregional bedeutenden Bestände erstmals der Nutzung zugänglich.
Projekt der Staatlichen Archive Bayerns
Am 1. Mai 2023 startete mit Förderung des Bundesministeriums der Finanzen ein Projekt der Staatlichen Archive Bayerns mit einer Laufzeit von rund 7,5 Jahren (92 Monaten). Ein erstes Teilprojekt sieht die Digitalisierung von Rückerstattungsakten des Bestands Wiedergutmachungsbehörde I für Oberbayern (WBI I) aus dem Staatsarchiv München vor.
Die Digitalisierung der Unterlagen erfolgt vom Mikrofilm und geschieht daher zügig und ohne Rückgriff auf die Originale. Für die knapp 20.000 Akten liegen aus einem früheren Projekt detaillierte Erschließungsinformationen vor.
Ein zweites Teilprojekt markiert den Einstieg in die planmäßige Digitalisierung und intensive Nacherschließung von Entschädigungsakten des durch jährliche Übernahmen kontinuierlich anwachsenden Bestands Landesentschädigungsamt im Bayerischen Hauptstaatsarchiv. Fast 27.000 Akten sollen nach den für das Gesamtprojekt maßgeblichen einheitlichen Erschließungsrichtlinien für diesen Aktentyp bearbeitet werden.
Auf die exemplarische Mitwirkung der Bundesländer an der politischen Ausgestaltung der Wiedergutmachung im Mehrebenensystem der Bundesrepublik Deutschland und auf die Steuerung und Umsetzung auf Landesebene zielt ein drittes Teilprojekt. Von diesem werden knapp 2.000 thematisch einschlägige Archivalien aus den im Bayerischen Hauptstaatsarchiv betreuten Archivbeständen der bayerischen Staatsministerien und oberster Staatsorgane, mit dem Bayerischen Senat auch einer parlamentarischen Körperschaft, erfasst werden.
Ein viertes Teilprojekt widmet sich der Tiefenerschließung und Digitalisierung des Archivbestands Landesamt für Vermögensverwaltung und Wiedergutmachung (LAVW) im Bayerischen Hauptstaatsarchiv. Die Akten dieser ehemaligen Landesoberbehörde dokumentieren die Wiedergutmachung in einer großen thematischen Bandbreite seit der unmittelbaren Nachkriegszeit im Übergang von der amerikanischen Besatzungsherrschaft zur Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland.
Sämtliche Erschließungsinformationen und Digitalisate sollen über das Themenportal Wiedergutmachung online zugänglich gemacht werden, soweit bzw. wenn dies nach den geltenden Rechtsnormen zulässig ist und die erforderliche Infrastruktur zur Verfügung steht.
Projekte des Bundesarchivs
Das Bundesarchiv beabsichtigt, bereits bewertete und erschlossene Unterlagen zu grundlegenden Angelegenheiten, Gesetzen und Verordnungen zur Wiedergutmachung aus den Bundesarchiv-Beständen B 126 (Bundesministerium der Finanzen) und B 136 (Bundeskanzleramt) zu digitalisieren und online zu stellen.
Antrags- und Entschädigungsakten der International Organization for Migration, die im Rahmen des Zwangsarbeiter-Entschädigungsprogramms und der Entschädigung von Vermögensschäden entstanden sind, sowie sogenannte Queranträge, die sowohl das deutsche Zwangsarbeiter-Entschädigungsprogramm als auch das Holocaust Victim Assets Programme (Swiss Banks) betreffen (Bestand B 439), werden tief erschlossen und – soweit rechtlich möglich – online gestellt. Die von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft übernommenen Datenbanken sollen nutzbar gemacht werden.
Weitere Teilprojekte beschäftigen sich mit der Erschließung und Digitalisierung negativ beschiedener Lastenausgleichsverfahren zu jüdischem Vermögen im Bestand ZLA 3 sowie mit der Digitalisierung der „Verfolgtenakten“ im Bestand ZLA 1. Bei den „Verfolgtenakten“ handelt es sich um Akten zu Lastenausgleichsverfahren, in denen die 11. Leistungsdurchführungsverordnung für Vermögen von Verfolgten des nationalsozialistischen Regimes zur Anwendung kam. Eine Herausforderung ist die Identifizierung unerkannter Lastenausgleichsakten von Veräußerern und Erwerbern jüdischen Vermögens im Bestand ZLA 1. Ziel ist es, anhand eines Clusters systematisch Archivgut zu ermitteln, das in einem Kontext zu Arisierungen steht. Dafür werden einerseits OCR- und KI-Technologien erprobt und andererseits Personal zur Untersuchung der Akten per Autopsie eingesetzt, um auf diese Weise den Wirkungsgrad der eingesetzten Technologie zu ermitteln.
Projekt des Landesarchivs Baden-Württemberg
Als erstes startete am 1. Juni 2020 beim Landesarchiv Baden-Württemberg ein vom Bundesministerium der Finanzen gefördertes Pilotprojekt mit einer Laufzeit von 36 Monaten.
In einer ersten Projektphase erfolgte die Erschließung des Sachaktenbestands StAL EL 350 II aus der Provenienz des bis 1992 bestehenden Landesamts für die Wiedergutmachung in Stuttgart. Außerdem wurden Einzelfallakten zu Entschädigungsverfahren testweise in verschiedenen Erschließungstiefen verzeichnet, um u. a. Erfahrungswerte zur Erschließung der Wiedergutmachungsüberlieferung für die archivübergreifende Diskussion zu gewinnen.
In einem zweiten Teilprojekt wurden ausgewählte Unterlagen zu den Entschädigungsverfahren bei den Landesämtern für die Wiedergutmachung in Stuttgart, Karlsruhe, Freiburg und Tübingen vollständig digitalisiert. In Zusammenarbeit mit dem FIZ Karlsruhe konnten mit Hilfe dieser Digitalisate automatische Verfahren zur Text- und Mustererkennung ausprobiert werden, um so die Möglichkeiten einer KI-gestützten Anreicherung von Erschließungs- und Normdaten auszuleuchten.
In einem dritten Teilprojekt entstanden Auswertungs- und Nutzungsszenarien zu den Wiedergutmachungsunterlagen sowie ein Online-Rechercheratgeber mit einer zweisprachigen Aktenbeschreibung und Nutzungshinweisen. Außerdem wurden Angebote für die Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit entworfen, wie (Online-)Seminare zur Nutzung von Wiedergutmachungsakten oder das Podcastprojekt „Sprechende Akten“. Einige Ergebnisse des Pilotprojekts des Landesarchivs Baden-Württemberg wurden im Herbst 2022 im Rahmen einer Themenwoche vorgestellt.